Wenn-die-Küsste-küsst

Wen(n) die Küste küsst

Aurich.

‚Wenn die Küste küsst‘

– BBK-Sommerausstellung 2016 im Rathaus Aurich –

Teilnehmende Künstlerinnen und Künstler:
Helga Beisheim, Hartmut Bleß, Hilke Deutscher, Kriso ten Doornkaat, Peter Geithe, Kaja Henke, Alfred Kaufner, Gaby Mrongowius, Herbert Müller, Rita Oerters, Hans Pollack, Gerhard Rickers, Okka Rickers, Ute Rickers, Petra Schamberger, Uwe Schierholz, Michael Schildmann, Horst Richard Schlösser, Brigitte Schmitz, Ellen Schneider–Stötzner, Ulrich Schnelle, Katharina Schultz, Frank Schuppan (s.o.), Thorsten Schütt, Carolin Weise, Georg Willms.

Ausstellungseröffnung: 15.06.2016 um 19 Uhr.
Austellungsdauer: 15.06. – 12.08.2016.

Ort: Rathaus Aurich.
Besichtigung zu den Öffnungszeiten.

Wir laden Sie und Ihre Freunde sehr herzlich ein zur Eröffnung der Jahresausstellung des BBK-Ostfriesland!
Begrüßung: Heinz-Werner Windhorst, Bürgermeister der Stadt Aurich
Einführung: Dr. Walter Baumfalk.
Musik: Das Trio der Garden City Company.
Günter Tjards, Bass. Werner Britz, Piano. Bernd Mingers, Schlagzeug.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog:

Wenn-die-Küste-küsst
Foto © Frank Schuppan

Dr. Walter Baumfalk:

Einführung in die BBK-Ausstellung „Wen/Wenn die Küste küsst“ am 15. Juni 2016 im Rathaus der Stadt Aurich

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Windhorst, liebe Künstlerinnen und Künstler des BBK Ostfriesland,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
„Wen/wenn die Küste küsst“: Der Titel unserer Ausstellung ist zweifellos originell, aber auch schwer deutbar, vielleicht auch nicht ganz glücklich gewählt.

© AtelierSchmitz

Der Titel einer Ausstellung richtet sich zum einen an den Besucher, soll ihn neugierig machen, er darf daher durchaus auffallend, sogar auch reißerisch sein: Insoweit ist der Titel schon gelungen.
Der Titel umreisst aber auch das Thema, mit dem der oder die ausstellenden Künstler sich befasst haben – oder hier: wenn das Thema vorgegeben worden ist: mit dem sie sich jedenfalls befassen sollten: Wie verstehen sie das Thema? wie interpretieren sie es? und da wird es dann schwierig.

© AtelierSchmitz

Es geht zweifellos um die „Küste“. Dies ist streng genommen der Übergang vom Meer zum Land, der veränderliche Raum zwischen diesen Elementen. Aber: Gemeint ist hier sicher nicht nur die unmittelbare Küstenlinie, sondern auch das Land an der Küste, das Meer selbst – ohne das eine „Küste“ ja nicht denkbar ist -, alles das, was mit der Küste in Verbindung gebracht werden kann, was wir mit der Küste verbinden: Erleben, Erfahrungen: also auch ein weiterer imaginärer Raum, der für jeden von uns ein anderer sein kann.
Aber bei dieser Ausstellung soll es nicht allein nur um die „Küste“ gehen, sondern auch darum, dass die Küste „küsst“, was mit einem roten Kussmund noch plakativ hervorgehoben wird, dass sie „wen“ küsst und sogar darum, was geschieht, „wenn“ das geschieht, also wenn sie wen küsst, was ja wohl nicht immer der Fall zu sein braucht.
Diese Formulierung gibt dem Titel eigentlich etwas Heiteres, Witziges, Spielerisches. Das Wortspiel „Wen die Küste küsst“, geht deutlich in die Richtung: „Wen die Muse küsst“ – eine Redewendung, die gemeinhin freundlich-scherzhaft, auch etwas ironisch gebraucht wird, für eine freund-liche, vielleicht auch spontane Inspiration des Künstlers. Ein Kuss ist ja auch – jedenfalls in der Regel – etwas Freundliches. Und dann: Wen und wie küsst die Küste, inspiriert die Küste in freundlich heiterer Weise?
Aber: Kann diese Frage heute wirklich noch unbefangen so gestellt werden?
Natürlich: Fasziniert jedenfalls haben Küste und Meer die Menschen schon immer, wir kennen das von uns selber, und immer auch Künstler, und aus der Faszination folgt dann sicher oft auch die Inspiration zu einer künst-lerischen Auseinandersetzung.
Der Künstler kann die Küste, ihre Erscheinungsformen, als reine Landschaft aufnehmen und darstellen, aber auch – oder zugleich – das mit ihr verbundene Metaphysische und Allegorische: Die Unendlichkeit des Meeres, das ewige zeitlose Spiel des Wassers, bei unserer Küste: Ebbe und Flut, das Kommen und Gehen, das Werden und Vergehen. Die Küste steht für Aufbruch und Ankommen, für gefahrvolle Fahrt und gelungene Heimkehr, für den Blick in die Ferne, über den Horizont hinaus, für die Sehnsucht nach der „großen Freiheit“, nach Unbekanntem, sie steht für Weltoffenheit. Sie ist Idyll und zugleich Ort der Gefahr und der Katastrophe.
Von den „alten Meistern“ kennen wir – neben auch freundlichen arkadischen Themen – sehr dramatische Darstellungen: Die Küste und das Meer als Orte der Tragödie: Schiffbruch, Strandungen, Untergang, Überschwemmungen, Rettung, auf dem Meer das Floß der Medusa, Seeschlachten, und dies oft auch noch bei furchtbarem Sturm und gespenstischem Mondlicht, an unzugänglichen schroffen Felsenküsten. Gemalt oft, gerade um Metaphysisches, Inhaltsschweres darzustellen, im Atelier, vor dem inneren Auge, gewissermaßen „mit dem Kopf“. 

© AtelierSchmitz

Als reine „unbelastete“ Landschaftsdarstellung, auch als Ort bunten unbeschwerten Lebens erscheint die Küste stärker in neuerer Zeit, so etwa in der Freiluftmalerei des Impressionismus, der einfach den in der Landschaft erlebten Eindruck, die erlebte Stimmung festhalten wollte. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert begann dementsprechend auch die große Bedeutung der Landschaftsmalerei in Ostfriesland: Künstler aus den damaligen Kunstmetropolen – aus Düsseldorf, München, Dresden, Berlin – „entdeckten“ die ostfriesische Küste für ihre künstlerische Arbeit, kamen nach Emden, an die Küste, in die Hafenorte, nach Greetsiel, auf die Inseln. Die Landschaft, die Natur als solche: Freundliche Landschaften, sonnige Dünen, leuchtender Strand, hoher klarer Himmel, kleine Häfen, eben das Idyll. Das gilt dann durchaus auch für die Maler, die den BBK nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs neu gründeten – etwa für Julian Klein von Diepold, von dem auschließlich sonnige Landschaftsbilder bekannt sind, oder für Poppe Folkerts. So ist das durchaus auch heute. Nur für wenige Landschaftsmaler ist das Meer, birgt die Küste auch Gefahr und Bedrohung: Das Meer als unberechenbares Raubtier, da soll man sich von der oft idyllisch wirkenden Küste, an deren Strand wir uns gerne bei Sonnenschein aufhalten und die strahlend weiße, in mehreren Reihen auflaufende Bran-dung bewundern, nicht täuschen lassen.
Die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema „Küste“ ist so in vielfältiger Hinsicht möglich. Und demgemäß sehen wir auch in dieser Ausstellung sehr unterschiedliche Positionen, mit denen die beteiligten 27 Künstlerinnen und Künstler an das Thema herangegangen sind.
Dabei fällt auf, dass das Leichte und Heitere, das wir als Betrachter nach dem Ausstellungstitel erwarten können, nicht im thematischen Vordergund steht. Die Künstlerinnen und Künstler befassen sich nur zu einem Teil mit der „schönen“ Küstenlandschaft, mit einem unbelasteten Blick auf Strand, Küste und Meer. Eine Reihe von ihnen setzt sich vielmehr mit den drängenden und bedrückenden Problemen auseinander, die wir heute mit der Küste verbinden, verbinden müssen, wie der Verschmutzung des Meeres und den Flüchtlingskatastrophen an den so schönen Küsten des Mittelmeers, verweigern sich also durchaus einer heiteren Seite des Themas. Die Arbeiten füllen daher den gesamten Spannungsraum aus zwischen den aufgezeigten extremen Positionen, von der heiteren „heilen“ Küste bis zum Ort der Gefahr und der Katastrophe.
Mit der Küstenlandschaft als reinem Naturmotiv – um von dieser Seite aus mit einer kurzen Vorstellung der beteiligten Künstlerinnen und Künstler zu beginnen – befasst sich Herbert Müller, in ruhigen freundlichen Ansichten. Schon seit Beginn seiner künstlerischen Arbeit, seit über vierzig Jahren, ist die ostfriesische Landschaft für ihn ein Thema, das ihn nicht mehr losgelas-sen hat; er greift es – wie Sie sicher wissen werden – immer wieder auf.
Auch Hilke Deutscher befasst sich mit der Küste als Landschaft, einer „Landschaft in ständiger Veränderung“, mit dem Übergang vom Strand zum Meer, vom Meer zum Himmel, zu den Wolken.

© AtelierSchmitz

Hans Pollack ist u.a. mit „Wilder Küste“ – einer nahezu reinen Farbimpres-sion – vertreten, auch mit einer mehr gegenstandslosen Arbeit, die an einen ebenso wilden Wasserstrudel denken lässt, der er den Titel „wer küsst hier wen?“ gegeben hat, eine ebenso naheliegende wie unbeantwortbare Frage.
Michael Schildmanns große Foto-Arbeiten zeigen ebenfall fast nur noch Farbimpressionen, die Farben und die Stimmung der bei eintretender Dunkelheit ineineinander übergehenden Flächen von Küste und Wasser, ein – wie er sagt – geradezu „unglaubliches Blau“: Er möchte damit auch die Ruhe, Stille und Weite der norddeutschen Küstenlandschaft vermitteln.
Die Farben von Küste und Meer sind das Thema der Arbeiten von Hartmut Bless.
Wir finden die Farben von Meer und Küste auch bei Alfred Kaufner, in seinen Objekten aus Glas und Eisen, besonders auch die in der Natur stän-
dige Veränderung dieser Farben durch Licht und Bewegung: Für den Be-trachter verändern sich mit jeder Änderung seines Blickwinkels auch die Farben des Glases, des Lichtes, das Kaufner sichtbar und greifbar, real machen möchte.
In ausgeprägterer eindeutiger Farbigkeit sind diese Farben in den konstruk-tivistischen Arbeiten von Rita Oerters aufgenommen.
Einige Künstlerinnen und Künstler befassen sich mehr mit dem Strand.
Für Carolin Weise ist der Strand ein „Ort der Sehnsucht“: In ihren Fotomontagen geht der Blick vom Strand auf das Meer, in die Aufnahmen der See ist der geschminkte, leicht geöffnte Kussmund eingestellt – insoweit ist sie am dichtesten am formulierten Thema der Ausstellung -, für sie ein „Spiel von Sehnsucht und Begierde“: Sehnsucht nach was? Begierde auf was? auf die Weite, auf die Ferne, die hinter dem Horizont liegt?
Das friedliche unbelastete Leben am Strand zeigt Horst-Richard Schlösser in seinen beiden für ihn charakteristischen Zeichnungen: Vater und Sohn mit einem Windvogel, ein Paar am Strand – Paare sind ein immer wieder-kehrendes Thema in seinen Arbeiten.
Unmittelbar am Strandsaum sind die Material-Collagen von Gerd Rickers und Petra Schamberger angesiedelt: Steine, Muscheln, Scherben, vom Meer angetrieben, und wer am Strand Steine oder Muscheln sammelt, weiß, wie dies zur Leidenschaft werden kann – von der Küste ergriffen, „geküsst“.
Auch für Gisbert Saal ist der Strand das Thema: Seine „Betonage“ – aus Beton mit Pigmenten – kann mit ihrer reliefartigen Oberfläche an die wellenförmigen Strukturen des Watts oder des Sandes, auch an einen leicht gekräuselten Wasserspiegel erinnern, leicht verschwommen im Küstennebel.
Auf den Wasserspiegel geht der Blick von Brigitte Schmitz: Sie will das Unbewußte, auch das mit diesem Blick auf das Wasser verbundene Unbewußte, in malerische Zeichen übersetzen: Die Weite des Meeres, die Unendlichkeit der Wasserfläche, auch die Ruhe, das Schweigen.
Der Raum ist Thema der Arbeiten von Helga Beisheim, mit denen sie die Räumlichkeit geradezu greifbar macht: die Räumlichkeit des Meeres?
Okka Rickers zeigt in ihrer Mischtechnik aus Buntstiftzeichnung und Lack geheimnisvolle „Geister“: Vogel-, reptilien-, tierähnliche Figuren, die einen Menschen – sie selbst?- umkreisen und die er/sie – wie aus dem im Titel angerissenen Zitat aus dem „Zauberlehrling“ von Goethe folgt – „nicht mehr los“ wird: „Geister über dem Wasser“, die wir ebenfalls bei Goethe finden?

© AtelierSchmitz

Küstenlandschaften in einem weiteren Sinne zeigt Uwe Peter Schierholz mit Industrielandschaften, in für ihn auch thematisch charakteristischen Linol-schnitten, in ihrer Farbigkeit und auch in der inhaltlichen Darstellung durchaus maritim wirkend.
Mit der unmittelbaren und auch der weiteren Küstenlandschaft befassen sich auch die Fotografien von Frank Schuppan, in seiner – wie er erklärt – künstlerischen Intention, poetisch und malerisch das Schöne im Alltäglichen zu erfassen.
Aber die Welt und damit auch die Küste und das Meer sind nicht nur schön, oder gar poetisch – und erst recht nicht immer so heiter, wie unser Ausstel-lungstitel vermuten lässt.
Da ist zum einen die ständig zunehmende Verschmutzung des Meeres und des Watts, die Ulrich Schnelle in seinen Fine Art Prints – digital bearbeiteten Fotos – vermittelt: Eine alte Plastiktonne, die im Wasser treibr, von Ebbe und Flut bewegt wird, nach Ablauf des Wassers auf dem Schlick bleibt. Der Titel der Arbeit „Elegie des Schlicks“ versinnbildlicht die Gleichgültigkeit des Menschen gegenüber diesen Problemen und die Wehklage der Natur.
Im Watt, im Schlick stehen auch die Pfähle in der Arbeit von Gaby Mrongowius: Der Titel „Mehr Plastik – Plastikmeer“ bezieht sich ebenfalls auf die bedrohlich zunehmende Verschmutzung des Meeres durch Plastikmüll, zugleich aber auch auf die besondere Technik der Arbeiten, die auf Plastikfolien gemalt aind, was das Umweltthema noch eindringlicher verdeutlicht, geradezu im Bild selbst greifbar macht.
In einer Installation greift Kriso ten Doornkaat dasselbe Thema auf: „Die Seehäsin erklärt dem Meerkätzchen den Untergang seiner Welt“, so, anders als im Katalog, der eigentliche Titel der Arbeit: Das Meerkätzchen ist fest-geknotet an einem Treibanker von lauter Müll: Wir graben uns selber das Wasser ab. Die Arbeit ist, wie immer bei ihr, sehr phantasiereich, in den Details sehr rätselhaft, es gibt unendlich viel zu entdecken, Tierisches steht metapherhaft für Menschliches, übrigens auch technisch außerordentlich aufwendig, die „Bronze“gesichter der beiden Figuren bestehen aus an die 30 Schichten aus Papier, immer wieder geleimt, bemalt, abgeschliffen. Im Katalog ist zu dieser Installation als Titel vermerkt: „wer die Küste küsst, ist selber schuld“ – ein Statement der Künstlerin, mit dem sie den idyllischen Blick des von der Küste Faszinierten auf Möwen, Windmühlen und Leuchttürme entzaubern will: Dieses Idyll besteht nicht mehr!
Letztlich befasst sich auch Peter Geithe in seinen Alibond-Skulpturen mit der Umweltbedrohung: Sturmvögel, Tiere, die um ihren angestammten Lebensraum kämpfen. Die Plastiken, die hier in erster Linie rein ästhetisch
wirken, sind Teil eines größeren Zyklus, in dem sich Peter Geithe mit dem Klimawandel und der Bedrohung der Meereswelt befasst.

© AtelierSchmitz

Und zum anderen:
Mit Küste und Meer verbinden wir auch Boote und Schiffe, Segelboote, einen Tanker am Horiziont: Symbole für Freiheit, für Weltoffenheit.
So ist für Kaja Henke das Meer der Ursprung des Lebens , wie er im unteren Teil seiner collageartigen Mischtechnik „Lob der Segelei“ zeigt, die er im oberen Teil des Bildes als eine Befreiung wertet, zur Freiheit, die er mit Segeln verbindet, mit dem Segelboot, mit dem offenen Meer.
Aber dies ist nicht die volle Wirklichkeit von heute.
„Schlauchboot“ ist der Titel der Plastik von Georg Willms: Ein Boot, umgeben von einem Schlauch, für mich mehr als eine nur „humorvolle (Wort-) Spielerei“, wie es im Ausstellungskatalog anklingt: Ernst blickende Männer, mit archaisch wirkenden Köpfen (bedingt auch durch den Werk-stoff, jahrtausend alte Mooreiche), ein Ziel vor Augen, durch den Schlauch miteinander und mit dem Boot in einer Schicksalsgemeinschaft verbunden, aber die Fahrt mit dem Schlauchboot ist voller lebensbedrohender Gefahren, wir sehen die Bilder fast täglich im Fernsehen: Flüchtlinge auf dem Meer? Werden die Männer ihr Ziel, eine Küste je erreichen?

© AtelierSchmitz

Noch eindringlicher befasst sich Katharina Schultz mit dem Triptychon „Wen die Küste küsst und wen nicht“ mit diesen Flüchtlingen: Aus dem Meer strecken sich Hände, auch Kinderhände, nach oben, geöffnet und geballt, um Hilfe bittend, hoffend, resignierend und aufgebend. Nicht alle kommen bis an die Küste, nicht alle empfängt, „küsst die Küste“, die zunehmend abweisend wirkt, politisch auch nur noch als eine „Außen-grenze“ gilt, die geschützt werden müsse, schon sprachlich gibt es dort eine freundliche „Küste“ nicht mehr. Die Geretteten bleiben im Licht, die anderen gehen unter, die Ertrunkenen sind im Dunkel, man sieht sie nicht, ihre Namen sind nicht bekannt, nicht einmal ihre Zahl, sie wird geschätzt.
Mit dem Meer und den Flüchtlingen befasst sich ebenso eindrucksvoll auch Ute Rickers: „Steine, die man nicht essen kann“, die Not, die zur Flucht über das gefahrvolle Meer, zur fremden Küste zwingt. Das Bild ist eine deutliche Anlehnung an Darstellungen des letzten Abendmahles, doch statt Brot und Wein finden die Menschen Steine, die Menschen fliehen, in Panik – eine Mahnung gerade an die bei uns so oft pathetisch beschworenen christlichen und europäischen Werte, eine Aufforderung zur Hilfe und zum Teilen. Denn – ihr zweites Bild -: Wir sitzen doch alle mit den Flüchtlingen in einem Boot.
Auch Ellen Schneider-Stötzner behandelt in ihren beiden Arbeiten dieses Thema: „Sea food“ – die zerbrochene Kiste, Symbol für die Boote, die an den Stränden kentern, die toten Fische, das Foto des toten kleinen Jungen am Strand, das uns zunächst so sehr betroffen gemacht hat, das aber heute nicht mehr auffallen würde, würde nicht ein Pfeil darauf hinweisen, die rote Farbigkeit als Farbe der Freude und des Lebens, aber eben auch des Blutes, von Krieg und Kampf. Und: Spuren blutender Füße im unendlichen Sand der Wüste, unvorstellbare Strapazen, bevor überhaupt das Meer, das retten soll, aber auch zum Friedhof werden kann, erreicht wird.
Diese Arbeiten schließen – in modernen Darstellungsformen – den Kreis zu den Küsten- und Meeresszenen der „Alten Meister“, auf die ich eingangs hingewiesen habe: Schiffsuntergänge, Ertrunkene, unzugängliche abweisende Küsten, der Kampf um das nackte Überleben, apokalyptische Szenen, aber: nicht im Atelier erdacht, vielmehr die Wirklichkeit: Die Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts. Eine Klage und Anklage.
Boote zeigen aber auch die kleinen Plastiken aus Holz und Eisen von Thorsten Schütt: „Gelassenheit“, „Vertrautheit“:. „Verträumtheit“: Wie fried-lich, wie harmonisch könnten das Meer, die Küste, die Welt doch sein!


Meine sehr geehrten Damen und Herren,
siebenundzwanzig Künstlerinnen und Künstler – und siebenundzwanzig unterschiedliche Arbeiten und Ansichten zum Thema, das ganze Spektrum: Eine eindrucksvolle Bestätigung meiner immer wieder vorgetragenen These, dass die bildende Kunst in Ostfriesland eine große thematische und darüber hinaus natürlich auch künstlerisch-technische Vielfalt aufweist, von hoher künstlerischer Qualität. 

© AtelierSchmitz

Die hier ausstellenden Künstler/innen und Künstler verschließen ihren Blick nicht vor den großen Problemen und Katastrophen, die wir heute mit Küste und Meer verbinden müssen. Sie zeichnen aber Küste und Meer auch noch als eine faszinierende Naturlandschaft, auch als eine noch „heile Welt“ – und das sind Küste und Meer zugleich ja auch noch, für uns, für viele Menschen. An dieser Schönheit dürfen wir uns schon noch erfreuen, und es gibt trotz allem auch noch eine heitere Küste, alles das können und sollten wir auch in dieser Ausstellung sehen – aber das ist eben nur die eine Seite des Themas „Küste“, mit der wir uns nicht beruhigen können und dürfen.
Vielen Dank für Ihre geduldige Aufmerksamkeit.

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